Warum ich über Verstärker sprechen möchte
Im Training höre ich immer wieder Sätze wie: „Ich hab ihn doch belohnt, aber es wird nicht besser“ oder „Ich belohne total viel – aber irgendwie bringt es nichts.“ Spannend ist: Verstärkung ist messbar. Ein Verstärker sorgt dafür, dass ein Verhalten häufiger gezeigt wird, schneller kommt oder intensiver bzw. länger anhält. Passiert keines davon, war das, was wir als Belohnung gedacht haben, aus Sicht des Hundes eben kein echter Verstärker – sondern einfach nur nett gemeint.
Was ein Verstärker wirklich ist
Vereinfacht gesagt ist ein Verstärker alles, was die Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Verhalten erhöht. Das kann Futter sein, Spiel, Schnüffeln, Rennen, sozialer Kontakt, Distanz zu etwas Unangenehmem oder der Zugang zu einem bestimmten Ort. Oder anders formuliert: Ein Verstärker ist das, was dein Hund in diesem Moment wirklich haben oder vermeiden möchte – nicht das, was wir „sinnvoll“ finden.
Belohnung ist nicht gleich Verstärkung
Genau hier liegt der Knackpunkt: Belohnung ist das, was wir geben. Verstärkung ist das, was im Verhalten passiert. Wenn ich möchte, dass mein Hund bei Wildsichtung stehen bleibt, er zwar stehen bleibt, danach aber sofort an der strammen Leine wortreich von mir weggeführt wird, ist das aus seiner Sicht vielleicht gar nicht belohnend, sondern frustrierend. Die Folge: Beim nächsten Mal bleibt er weniger wahrscheinlich stehen. Ich wollte verstärken, habe aber unbewusst das Gegenteil erreicht. Darum lohnt sich immer wieder der ehrliche Blick: Wird das Verhalten wirklich besser – oder fühlt es sich nur so an, weil ich „viel belohne“?
Positive und negative Verstärkung – kurz erklärt
In der Lerntheorie tauchen zwei Begriffe immer wieder auf: positive und negative Verstärkung. Bei positiver Verstärkung wird etwas Angenehmes hinzugefügt – etwa Futter, Spiel oder der Zugriff auf Umwelt. Verhalten nimmt zu, weil es sich lohnt. Bei negativer Verstärkung wird etwas Unangenehmes weggenommen – etwa Druck am Halsband, der nachlässt, wenn der Hund etwas Bestimmtes tut. Verhalten nimmt zu, weil der Hund Unangenehmes vermeiden oder beenden möchte. Beides verstärkt Verhalten, aber mit einem völlig unterschiedlichen Gefühl. Mir ist wichtig: Wir können Verhalten fast immer so aufbauen, dass es sich für den Hund sicher und gut anfühlt – statt nach Druck und Erleichterung.
Kontext & Bedürfnisse – der entscheidende Rahmen
Ob etwas als Verstärker wirkt, hängt stark vom Kontext und vom aktuellen Bedürfnis ab. Draußen bei zwei Grad und eisigem Wind ist ein langes Sitz möglicherweise körperlich unangenehm, ein Steh oder ein kurzes Down mit schneller Auflösung wäre passender und besser verstärkbar. Beim Hasen am Horizont ist das Bedürfnis zu hetzen riesig. Wenn du den Rückruf belohnst, indem ihr danach gemeinsam eine kleine Renn- oder Schnüffelrunde einbaut, passt die Belohnung zum Moment. Ein einzelner Keks und danach strammes Fußgehen zurück zum Auto eher nicht. Je genauer wir das Bedürfnis im jeweiligen Augenblick treffen, desto kraftvoller wirkt derselbe Verstärker.
Erwartungssicherheit statt Dauer-Anspannung
Weil sich Verstärker für Hunde so gut anfühlen, können sie in eine Art Dauer-Warteschleife kommen: „Kommt jetzt was? Jetzt? Jetzt?“ Damit das nicht passiert, ist mir Erwartungssicherheit wichtig. Ich arbeite gern mit einem Startsignal, das klar macht: „Jetzt machen wir zusammen Training“, mit einem Pausewort, das bedeutet: „Du musst gerade nichts tun, mach dein Ding“, und mit einem eindeutigen Trainingsende – zum Beispiel, wenn die Leckerlitasche weg ist, das Geschirr gewechselt wird oder ein kleines Abschlussritual kommt. Das nimmt Druck raus – beim Hund und auch beim Menschen.
Belohnungen auswählen: Stärke und Form
Nicht jede Belohnung ist gleich stark. Ich denke zum einen in „Rankings“: vom einfachen Alltagssnack über besondere Leckerchen bis hin zum Super-Jackpot wie Leberwurst, Lieblingsspiel oder Umweltbelohnung. Je schwerer die Aufgabe, desto höher steige ich im Ranking ein. Zum anderen spielt die Form der Belohnung eine Rolle: Kommt das Futter aus der Hand, wird es gekegelt, als kleine Jagdsequenz inszeniert oder als Schnüffelsuche angeboten? Muss der Hund es holen oder kommt die Belohnung zu ihm? All das verändert, wie sich die Verstärkung anfühlt und wie gut sie in den Kontext passt.
Selbstwirksamkeit & Wahlmomente
Gute Verstärker sind nicht nur „Kekse in den Hund“, sondern stärken auch die Selbstwirksamkeit. Ich plane bewusst Momente ein, in denen der Hund den Wegabschnitt wählen, stehen bleiben oder schnüffeln darf, und Phasen, in denen keine Aufgaben abgefragt werden und er einfach Hund sein darf. Aufgaben baue ich so kleinschrittig auf, dass echte Erfolgserlebnisse entstehen. So wird Training keine Dauerprüfung, sondern gemeinsame Lernzeit.
Fazit: Verstärker bewusst nutzen
Verstärker sind kein Hokuspokus und keine trockene Theoriekiste, sondern ein Schlüssel, um Verhalten gezielt zu verändern – ohne Druck, ohne Angst, ohne „das macht man halt so“. Wenn du dir ein paar Fragen ehrlich beantwortest – Wird das Verhalten wirklich besser? Passt die Belohnung zum Bedürfnis im Moment? Weiß mein Hund, wann es um Training geht und wann nicht? – bist du schon mitten drin im bewussten Umgang mit Verstärkern. Und idealerweise belohnst du danach nicht einfach „mehr“, sondern klüger – so, dass es euch beiden guttut und euren Alltag leichter macht.